Nur Staub und Pflanzen

1981 1 0

Ein Tag wie jeder andere. Oder eine Nacht? Zeit war nur eine Illusion. Also, für die meisten Lebewesen natürlich nicht, ihre Pflanzen waren das beste Beispiel. Doch für sie war es eine bestimmte Zeitspanne wie jede andere auch. 

Lanialellara - Lani in kurz - stieg aus dem Bett. Sie hatte geschlafen. Oder eher, mit abwesenden Gedanken gedöst. Richtiger Schlaf, wie ihn Menschen, Elfen und Zwerge brauchten, kannte sie nicht.

Ihre nackten Füße trafen auf den ebenfalls nackten Steinfußboden. Den Teppich, den sie eigentlich vor ihrem Bett hatte liegen gehabt, hing noch trocknend draußen auf der Leine. In ein paar Stunden würde er ganz trocken sein, die Wärme hier unten tat ihr übriges. Zum Glück war es keine allzu trockene Hitze, sonst würden die meisten ihrer Pflanzen eingehen.

Sie streckte sich und wie jedes Mal fuhr ihr ein scharfer Stich durch die Schulterblätter und den Rücken. Wie tausende und abertausende Male zuvor. Lernfähigkeit war ein zweischneidiges Schwert manchmal. Sie lernte viel, aber auf sich selbst zu achten irgendwie nicht. Auch nicht nach all der Zeit.

Was auch an ihrer Kleidung zu sehen war. Einfaches Leinen, gefertigt aus den Pflanzen, die sie anbaute. Einfache Schuhe, ebenfalls aus Leinen, meistens lief sie aber barfuß. Verletzungen heilten eh sehr schnell und wenn es etwas Größeres war, konnte sie mit ihrer Kraft nachhelfen. Die Bewohner über der Erde nannten es Magie, aber es hatte wenig mit dem zu tun, was sie mit ihren Runen bewerkstelligten.

Sie kleidete sich in die praktische Hose und das grobe Hemd, nahm die uralte Lederschürze, welche nur noch ein tragisches Abbild ihrer früheren Größe war, und begann ihren morgendlichen Rundgang, der immer an der Quelle begann, welche hinter dem Tempel aus dem Boden sprudelte.

Die Quelle hatte sich einige Dutzend Jahre - falls ihre Rechnung korrekt war - nach ihrer Ankunft aus dem Boden gegraben und bildete nun einen etwa zwei Schritt breiten Bach, der sich quer durch die Felder vor dem Tempel und durch einen Teil der zusammengestürzten Häuser der Stadt schlängelte. An einer Stelle mäanderte er wie eine Schlange und murmelte Geschichten, während er über glatte oder schroffe Steine floss. Dort hatte Lani einen Tisch und einen Stuhl aufgebaut, das war ihr zweiter Lieblingsort. Das Säuseln des Wassers war fast wie eine zweite Person, mit der sie sich unterhalten konnte.

Auch an diesem Tag war die Quelle unverändert. Klares, eiskaltes Wasser von irgendwo aus den Tiefen der Erde speiste einen kleinen See, der in einem kleinen Bassin aus Stein lag. Der See war auch nicht größer als eine große Pfütze und die Oberfläche wurde kaum aufgewühlt von dem Wasser, was aus der Erde strömte. Nur eine Ausbuchtung mit Verwerfungen deutete den stetigen Strom an.

Mit beiden Händen schöpfte sie aus dem klaren Wasser, trank und nickte. Mineralhaltig wie eh und je, abseits davon kalt, klar und ohne eine Veränderung. Manchmal bebte ihre Behausung und auch ohne direkte Einwirkungen wollte sie vermeiden, dass schädliche Substanzen in das Wasser gelangten und so von ihren Pflanzen aufgenommen werden konnte.

Es gab keine Fische. Woher auch? Lani konnte bis auf den Grund sehen. Die Dunkelheit, aus der das Wasser strömte, konnte sogar von ihren Augen nicht durchdrungen werden. Keine Algen, keine Pflanzen, nur ein Trichter aus festem, braunen Gesteins, der Wasser ausspuckte.

"Sehr schön.", murmelte Lani zu sich selbst, erhob sich und folgte dem Bach, der nur hin und wieder seine Richtung änderte, bis zu ihrem zweiten Lieblingsplatz. Unterwegs pflückte sie von den wild wachsenden Früchten - Tomaten, Äpfel, ein paar Trauben - und legte sie auf die gehäkelte, zusammengefaltete Decke. Für später.

Sie folgte dem Bach weiter, vorbei und durch die Felder - ihre Felder, es waren ihre Felder - vor dem Tempel und an den Seiten des Tempels durch eingestürzte und intakte Häuser, alle leer, alle verlassen, ohne Pflege, bedeckt von Staub und Stille. Lani hatte längst aufgegeben, ohne vernünftiges Baumaterial die Häuser instand zu halten. Sie beraubte ihnen sogar ein wenig Bausubstanz jedes Jahr, denn das einzige Gebäude, was sie brauchte, war der Tempel. Die wenigen Bäume, die sie hatte pflanzen können, wollte sie nicht für ein wenig Holz fällen.

Davon abgesehen hatte sie weder die Erfahrung noch die Werkzeuge, um Bäume beziehungsweise Holz zu ver- und zu bearbeiten. Zeit hatte sie genug, aber Werkzeuge waren ein anderes Thema.

Lani kam am Ende des Baches an, der sich einen Weg zu einer der äußeren Begrenzungen der Stadt gebahnt hatte und dort zwischen Geröll und verschiedenen wild wuchernden Pflanzen verschwand. Risse in der äußeren Wand der riesigen Höhle begannen sich zu zeigen, aber bis auf die immer größer werdenden Stellen gab es keine Veränderung. Dafür hatte Lani gesorgt.

Auch das Tor mit dem Zauber darauf hatte sich nicht verändert. Nicht von gestern auf heute oder, wie sie es nannte, von Dösen zu Nicht-Dösen in Ermangelung eines besseren Wortes.

"Halte noch durch." Sie strich über die raue Oberfläche des Tores, in dem die Runen eingearbeitet waren. Reinstes Silber, welches sie sich geschmolzen hatte. Schmuck hatte es in Lithrodil immer gegeben und immer von reinster Qualität. Ebenfalls gab es hier Schmiedewerkstätten, welche Schmelzöfen besaßen und teilweise noch intakt waren. Dadurch hatte sie das Silber schmelzen und so die Runen in mühevoller Kleinstarbeit erschaffen können. Insgeheim war sie darauf immer noch stolz.

Sie ging die Wände der Stadt ab, ohne neue Verwerfungen, Risse oder neues Geröll zu entdecken. Leider kam sie nicht an die Decke der Höhle heran, da ihr die Mittel dazu fehlten. Genügend Holz beispielsweise oder ihre... aber nein, sie kam nicht an die Decke heran. Sicherlich würde sie es merken, wenn die Decke instabil werden würde, mit dem See über ihr. Spätestens, wenn es anfing zu tropfen, würde sie sich Sorgen machen.

Ihren Rundgang um die Stadt beendete sie an der Quelle des Bachs, bevor sie, mit einer schmalen Schaufel, einer Schere - selbst geschmiedet, kann man das glauben? - und einem schmalen Rechen ihre Felder abging. Unkraut gab es für sie nur sporadisch, daher war die Tätigkeit des Jätens eher eine Art Nebenbeschäftigung. Ihre Tomaten, Gurken und Trauben blühten himmlisch und bis auf ein paar Blätter zu entfernen brauchte sie nicht tätig zu werden.

Anders sah es bei den Äpfeln aus. Sie entfernte ein paar der weißlichen Blüten, um Platz zu schaffen. Sie hatte es sich jedenfalls so angeeignet aus den Büchern, die sie gefunden hatte. Zumindest schien es Früchte zu tragen.

Sie kicherte. Der Witz wurde einfach nicht alt.

Das Licht von der Decke war für einige der Früchte und Getreidesorten einfach nicht gut genug. Zu wenig notwendige Kraft und Vitamine. Lani hatte es nicht geschafft, eine künstliche Sonne zu erzeugen, die genau das lieferte, was ihre Pflanzen brauchten, sondern nur Licht. Sauerstoff und Nahrung erzeugten die Pflanzen, was für sie deutlich genug war.

Auch hatte sie gelernt, wie man Äpfel konservierte, Gurken einlegte, Trauben trocknete und sogar Wein erzeugte. Es gab fast nichts, was sie hier nicht selbst machen konnte und ehrlich gesagt, war sie darüber sehr stolz. Vor dem Untergang hatte sie fast nichts davon gekonnt. Warum auch? Ihre Untertanen waren es gewesen, die Lani versorgten, da bestand kein Bedarf für die schöne Frau auch nur ein wenig davon zu lernen.

Abgesehen vom schmieden. Waffen waren immer notwendig in dieser Welt, also hatte sie sich einiges zu Klingen zeigen lassen. Was ihr nun zugute gekommen war, die Schere war immer noch scharf und sah dabei auch noch gut aus. Gezogenes, gedrehtes schweres Eisen war eine Kunst für sich und sie fand die Schere auch sehr hübsch. Praktische Dinge schön und gut, aber wenn sie dabei auch noch hübsch waren, so fand Lani mehr Gefallen an ihnen.

Bevor es an den Rundgang des Tempels ging, setzte sie sich nach getaner Feldarbeit an ihren zweiten Lieblingsplatz, aß dabei langsam ihre selbst angebauten Früchte und Trauben und hörte dem Bach zu, der ihr murmelnd neue Sachen erzählte. Von Jahrhunderten unter der Erde. Von den Mineralien, die er mit sich trug. Von den Dingen an der Oberfläche.

Jedenfalls stellte sie es sich so vor. Das angenehme Rauschen half ihr dabei, nicht völlig wahnsinnig zu werden.

"Nein. Hu-Hu. Hm, ja. Jetzt hör aber auf." Sie verzog die Lippen zu einem schmalen Lächeln. "Ja, auf bald."

Sie erhob sich, faltete die gehäkelte Decke wieder zusammen und machte ihren Rundgang durch den Tempel und kontrollierte dabei, ob der Teppich trocken war. Das war er und sie nahm ihn mit in ihr Schlafzimmer mit dem riesigen Himmelbett, legte ihn davor. Der Teppich selbst war riesig, aber für sie kaum schwerer als ein Korb voller Äpfel. Nun konnte sie endlich wieder ohne kalte Füße am Morgen aufstehen.

Zuerst begann sie an den Fundamenten. Zum Glück konnte sie außen kontrollieren und durch den Keller auch die tiefer liegenden Fundamente anschauen. Sie hatte sich ein Rezept für neuen Mörtel zurechtgelegt und die Zutaten bereitgestellt. Bisher war es noch nicht notwendig gewesen, die Fundamente auszubessern - den Drachen sei Dank! - aber man wusste ja nie.

An den Wänden sah es anders aus. Der Putz bröckelte an vielen Stellen ab und Lani besserte auch dort aus. Über Stunden war sie damit beschäftigt. Sie hatte sich keine Leiter gebaut, sondern eines der Gerüste wiederverwendet, welche noch existierten. Sie sammelte gerade Eisen und andere Metalle, um Stangen zu formen, damit sie sich nicht auf das alte Holz verlassen musste. An einem Sturz konnte sie schließlich immer noch sterben. Oder an einer fiesen Infektion.

Als sie die eine Seite des Tempels fertig verputzt hatte, verspürte sie das Bedürfnis nach Nahrung. Keinen Hunger, denn eigentlich brauchte sie nicht zu essen, aber die Regelmäßigkeit, mit der sie Nahrung zu sich nahm, hatte ihren Körper dazu gebracht, eine Art Rhythmus einzuhalten. Außerdem schmeckte ihr die Nahrung auf der Welt, also warum auch nicht?

Da sie kein Brot hatte und Getreide hier unten auch nicht gedieh, behalf sie sich mit gebratenen Pilzen, die sehr dem Arendah der Elben ähnelten, aber deutlich größer und weniger berauschend waren. Gebraten nahmen die Scheiben die Konsistenz von festem Brot an, was ein deutlich schmackhafterer Ersatz war. Jedenfalls empfand sie so.

Das Problem hier unten war, dass sie keine Bienen hatte. Es gab ein paar Insekten, aber der erste und einzige Bienenschwarm war in den ersten Jahren kläglich verendet. Lani bestäubte ihre Pflanzen daher mit der Hand, was eine zeitraubende und seltsam meditative Tätigkeit war. Aber was sollte sie auch anderes machen? Im Grunde beschäftigte sie sich nur selbst.

Was die Frage aufwarf... nein, einen Moment, erst Nahrung!

Lanialellara holte sich aus der Vorratskammer, was sie brauchte und bereitet ihr Abendmahl in der penibel aufgeräumten Küche zu. Feuer flackerte, es zischte und brutzelte. Warum räumte sie eigentlich auf? Für wen? Nur für sich, nicht wahr? Es musste schön sein, sonst würde sie noch wahnsinnig werden.

"Also, wahnsinniger als ohnehin schon.", sprach sie zu dem Topf, der sie erwartungsvoll mit der Ruhe des Eisens anschaute, aus dem er gemacht worden war. Die Kelle für Suppe war eifersüchtig, aber was wusste eine Kelle schon von Beziehungen? Gerade, wenn sie nur Flüssigkeit schöpfen durfte.

"Hey, es ist so!", protestierte Lani, stemmte die Hände vorwurfsvoll in die Hüften. "Erzähl mir nicht, du würdest wissen, wie es ist, eine Beziehung zu haben!"

Keine Antwort, nur eine Art angefressene Stille.

"Siehst du, sag ich doch." Lani beendete ihre Vorbereitungen, legte ihr Essen auf ein großes Tablett, hatte sich derweil Tee aus Kräutern gekocht - sie hatte fast gebraut gedacht, als wäre sie eine der Druidinnen - und trug das Tablett hoch über mehrere Treppen auf ihren ersten Lieblingsplatz.

Ihr Lieblingsplatz lag auf dem Dach des Tempels. Dort hatte sie einen selbst gebauten Tisch hingestellt, der zwar immer noch etwas wacklig auf den Beinen war, aber irgendwie wollte sie es auch nicht ändern. Der Tisch war ihr Werk und war genauso fehlerhaft wie sie selbst.

Das Tablett fand den Weg auf die Tischplatte und Lani setzte sich auf den ebenfalls wackligen Stuhl, der allerdings schon immer so gewesen war. Einer der wenigen Stühle aus Mooreiche, welche es in Lithrodil gegeben hatte. Faszinierend, dass er immer noch relativ intakt war.

Sie goss sich Tee aus der Kanne in den Becher, nahm das Besteck zur Hand und begann zu essen. Der Pilz war schmackhaft, es fehlte leider etwas an Salz, aber Salz war ihr mittlerweile ausgegangen und es gab keine Möglichkeit, welches herzustellen oder von irgendwo zu bekommen.

Die noch recht frische Marmelade aus ihren eigenen Trauben hatte einen seltsam eisigen Geschmack. Sie wusste ehrlich gesagt auch nicht, ob ihre Aura dafür verantwortlich war oder ob es eine Eigenheit der Traube selbst war. Vermutlich eine Mischung, was in ihr die Frage aufwarf, ob sie nicht doch wieder Wein machen sollte? Dieser war auch immer frisch und kalt gewesen.

"Eisbeeren.", nuschelte sie zwischen zwei Bissen, schluckte. "Warum bin ich da nicht früher drauf gekommen?"

Der Tisch gab eine Antwort und Lani schüttelte den Kopf. "Wozu? Ich brauche doch keinen Alkohol. Er wirkt bei mir nicht so gut. - Was? Nein, warum soll ich Schnaps herstellen? Es gibt dringendere Probleme."

Sie schaute über die Stadt, die still unter und vor ihr lag. Hinter ihr gab es fast nichts mehr bis auf den Bach, ein paar Werkstätten und Felder. Keine Tiere, kaum Insekten und keine Gesellschaft auf zwei oder mehr Beinen.

"Bei den Drachen", nuschelte sie an ihren Bissen vorbei und schluckte, "was vermisse ich Fleisch und den Himmel."

 

~~

 

Als es langsam Nacht wurde - also, ihrem Gefühl nach - räumte Lanialellara ihr Geschirr in die Küche, sorgte dort für Ordnung und nahm den letzten Becher Tee mit. als sie in den Hauptraum des Tempels ging.

Eigentlich war der Tempel mehr ein Palast, aber war irgendwann zur Anbetung der Drachen und besonders Lanialellara geworden. Damals, als sie noch an der Oberfläche gelebt hatte.

Ihre violetten Augen wanderten durch die große Halle. Die lange Feuerstelle in der Mitte war seit Ewigkeiten erloschen - Jahrtausenden, wenn sie sich nicht verzählt hatte - und wurde auch nicht wieder entzündet. Mit welchem Brennmaterial denn? Richtig, und sie wollte keinen ihrer wenigen Bäume verfeuern. Im wörtlichen Sinne tatsächlich.

Der weiße Marmor des Bodens und der Wände war mit Honiglack überzogen worden und schimmerte wie am ersten Tag. Die Säulen hatte man früher in einem himmelsgleichen Blau bemalt und sowohl Basis als auch Kapitell in einem blutroten Farbton. Da Marmor aber sehr hungrig war, hatte es die Farbe nach einigen Jahren aufgesaugt und nun standen die Säulen weiß da wie eh und je.

Die wenigen Wandbehänge hatten auch an Farbe verloren, aber zumindest konnte man noch erkennen, was sie darstellen wollten. Lani schmunzelte ob der altbekannten Darstellungen ihrer Selbst und dem, was sie mal hatte tun können. Ihre Taten. Ihre Tempel. Ihr Fall.

Am Kopfende, weit entfernt vom Tempeleingang - sie weigerte sich, das Gebäude Palast zu nennen, es entsprach ihr nicht -, stand ihr Thron. Beziehungsweise beide Throne. Der Weg dorthin war lang und hatte die Pilger und Gläubigen Demut lehren sollen, denn ein weiter Weg ordnete Gedanken und rückte vieles in ein rechtes Licht.

Gab es auch ein linkes Recht? Wenn man mal so darüber nachdachte... es entsprach zwar nicht der Metapher, aber witzig war es schon.

Der linke, größere Thron, bestand aus ebenfalls weißem Marmor und war wie sein kleineres Gegenstück auf einem um drei Stufen erhöhten Podest aufgestellt. Der rechte Thron bestand aus schwarzem Marmor und beide waren mit Honiglack versiegelt worden, um ihre Farbe zu bewahren und sie vor Abnutzung zu schützen. Dazu kamen weiche Kissen, welche allerdings bereits mehr oder weniger der Zeit zum Opfer gefallen waren.

Hinter den Thronen erhob sich eine weiße Wand und an dieser Wand war ein eisernes Gitter angebracht. Es war schmucklos und bestand im Wesentlichen aus einem Bienenwabenmuster und acht schwarzen Seilen, die große, schwarze Flügel hielten, welche sich wie von selbst bewegten, als würden sie auf einem Wind reiten, der hier nicht wehte.

Lanialellara vermisste auch ihre Flügel. Mehr noch vermisste sie den Wind und das Gefühl von frischem Gras unter ihren Füßen.

Seufzend setzte sie sich auf den großen, weißen Thron, die Flügel hinter sich. An manchen Tagen ertrug sie es nicht, diese anzuschauen. Seit ihrem Fall hatte sie diese nicht mehr getragen und war nicht in der Lage, diese mit ihrer eigenen Macht wieder zu reparieren.

Ihr Blick wanderte durch den leeren Saal und blieb an dem schwarzen Thron hängen, der deutlich kleiner ausfiel als ihr eigener Sitz. Einfach, weil ihre Untertanen, Gläubigen und Bewunderer daran erinnert werden sollten, dass sie die Macht hatte. Dass es um Lani ging und nicht um ihren Partner. Oder nur zeitweise um ihren Partner. Denn auch wenn Lani die meisten ihrer Partner gemocht, teilweise sogar geliebt hatte, konnten es nicht einmal die Elben mit ihrer Unsterblichkeit aufnehmen. Einer nach dem anderen war gegangen, auf die eine oder andere Weise.

Bei den Drachen, sie vermisste diese Berührungen. Aber wer würde sich mit einem gefallenen Engel einlassen? Vermutlich niemand. Erinnerte man sich überhaupt noch an sie? Hatte sich da Welt etwa genug gewandelt? Oder hatte man den Engel vergessen, vergraben unter dem Schutt ihrer Stadt und dem Zahn der Zeit? Wie so viele Ereignisse vorher?

Und was, wenn die Zaubermächtigen von damals sich anders entschieden hatten und immer noch gegen sie ziehen wollten? Was konnte sie für ihre Aura? Einfach nur, weil sie anwesend war, blühten Pflanzen besser, es gab mehr Ressourcen - wie auch immer das vonstatten ging - und die Lebewesen waren gesünder. Ein Zeichen ihrer Abstammung? Womöglich, weil sie auch irgendwie von den Drachen abstammte und sie deshalb diese Macht besaß.

"Müßig." Sie trank ihren Tee bis auf einen großen Schluck. "Niemand würde mich wollen. Und ich kann sie durchaus verstehen. Hm?" Sie schaute zum anderen Thron. "Unfug. Nein, nein, dreimal nein. Die Welt ist ohne mich besser dran. Sie würden mich suchen, wenn sie es wollen würden. Nein, aufhören."

Lanialellara drehte ihren Becher in der Hand und wartete. Im Grunde wartete sie nur darauf, dass sie endlich ins Bett gehen und weiter dösen konnte. Heute hatte sie nichts gelernt, nichts erlebt, nur ihre Arbeit getan, um sich zumindest irgendwie zu beschäftigen.

Morgen würde sie mit den Metallstangen weitermachen. Die Gerüste mussten fertig werden. Die Formen dafür hatte sie bereits fertig bearbeitet und die Verbindungsstücke ebenfalls. Ein großer Teil war schon fertig und wartete auf den Einsatz.

Langsam stand sie auf, trank ihren Tee, wusch den Becher aus, bevor sie ins Badezimmer tappte. Sie warf ihre selbstgemachte Kleidung auf den abgegriffenen Kleidungsständer, bevor sie sich die dreckigen Füße wusch. Nicht, dass es irgendwen stören würde, aber ins Bett wollte sie nicht mit dreckigen Füßen.

Leider war auch ihr Bett leer und einsam. Die Laken, die Bettdecke, alles war aus feinstem Stoff, aber über die Jahrhunderte nur noch ein Schatten ihrer selbst. Mittlerweile war sie auch dazu übergegangen, alles an Stoffen und Bettzeug aus den Häusern zu holen, wenn es noch verwendbar war.

Sie schaute an sich herab und seufzte wieder. Das tat sie in letzter Zeit häufiger und nahm sich vor, es weniger zu tun. Aber wer würde sie schon wollen? Anbeten vielleicht, aber auch damals war sie eher der Meinung gewesen, dass ihre Partner, liebevolle Worte hin oder her, nur mit ihr aufgrund ihres Status zusammen gewesen waren, verheiratet hin oder her.

Lanialellara vermisste Gespräche mit anderen Leuten. Sie vermisste andere Gerüche als den trockenen Geruch nach warmer Erde und ihrer Pflanzen. Sie vermisste Fleisch und andere Geschmäcker. So ein Fass Ale würde sicherlich gut tun, Alkohol hin oder her. Und am meisten vermisste sie freundliche Berührungen. Nicht unbedingt sexueller Natur - wobei das auch ein Thema war - sondern einfach Umarmungen, sanfte Küsse, mit den Fingern durch die Haare fahren oder einfach an jemand anderen mit Puls und Atmung lehnen.

Nackt, wie sie war, legte sie sich ins Bett, streckte alles von sich und wartete, dass ihr dösender Zustand eintrat. Morgen war ein arbeitsreicher Tag. Wenigstens etwas.

 

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